Als Wolfgang Renner aus Magstadt bei Stuttgart das Mountainbike auf den deutschen Markt brachte, drohte es ein Ladenhüter zu werden. Doch eine Himalaya-Expedition auf Rädern änderte alles. Vor 20 Jahren begann ein beispielloser Boom, der bis heute anhält. Renner hatte die Idee, Fahrräder für Berg- und Talfahrten zu bauen aus den USA mitgebracht – heute gehören die exklusiven Mountain-, Cross- und Trekkingbikes seiner Merida & Centurion GmbH zu den meist verkauften Europas.
Als das erste Mountainbike auf dem Internationalen Fahrradmarkt (IFMA) 1982 in Frankfurt gezeigt wurde, hätte niemand dem geschweißten, grün lackierten, mit Zweifach-Kettenblättern, Felgenbremsen und zehn Gängen ausgestatteten Rad größere Erfolge zugetraut. Manch ein Messebesucher soll es zwar angestarrt haben wie ein Gefährt von einem anderen Stern, auf die Idee, es könne zum Publikumsrenner und Verkaufsschlager taugen, kam aber niemand. Heute weiß Wolfgang Renner aus Magstadt in der Region Stuttgart, dass seine Idee damals nur ein wenig zu früh kam. Der ehemalige Kunstradler, Straßenrenn- und Querfeldeinfahrer hatte ein gängiges Crossrad lediglich so umgebaut, dass es auf schwierigem Gelände nicht nur talwärts, sondern auch bergauf gefahren werden konnte.
Der Einfall, mit dem Fahrrad Berge zu bezwingen, geht auf ein persönliches Erlebnis Renners zurück. Der damals 29-Jährige hatte sich im Sommer 1976 vorgenommen, ein Wochenende lang mit dem Crossrad durch das Karwendel-Gebirge zu fahren. Ein tollkühnes Unterfangen, wie seine Freunde fanden – schließlich war vorher noch niemand auf die „verrückte“ Idee gekommen, durch die Alpen zu radeln. Als er sich über Pässe und Schotterpisten quälte, traf er immer wieder Einheimische, die sich über kurze Strecken mit Rücktritträdern abmühten. „Auf dieser ersten Offroad-Tour wurden mir die Schwächen herkömmlicher Fahrräder auf schwierigem Gelände erstmals bewusst“, sagt Wolfgang Renner. „Ich wurde durchgeschüttelt, die Bremsen machten schlapp, ständig waren die Reifen platt.“ Räder und Reifen müssten wesentlich breiter sein, überlegte er sich damals, doch zu Hause geriet der Plan, ein bergtaugliches Rad zu konstruieren erst einmal in Vergessenheit. „Ich war mit dem Aufbau meiner Rennradmarke Centurion so beschäftigt, dass ich kaum Zeit hatte, andere Ideen zu verfolgen“, so Renner. Doch als er einige Jahre später eine Fahrradmesse in Kalifornien besuchte, auf der neueste Modelle der damals populären BMX-Räder (Bicycle Motocross) ausgestellt wurden, war die Idee wieder präsent.
Von Lhasa nach Kathmandu – ohne nennenswerten Defekt
Über die Centurion GmbH hatte Wolfgang Renner schon seit 1978 BMX-Räder nach Deutschland importiert. „Ich vertrieb sie, hielt Vorträge, baute Bahnen, organisierte Rennen, und jetzt, 1981, sah ich die ersten Modelle von Mountainbikes.“ Der US-Radprofi und Zweiradmechaniker Gary Fisher hatte gemeinsam mit den Radsportlern Charles Kelly und Tom Ritchey das verwirklicht, was Renner fünf Jahre vorher ge-plant, aber nicht umgesetzt hatte. Die Mountainbikes waren mit einer Kettenschaltung und einer Art Motorradlenker ausgerüstet. „Als mir die Fahrt durchs Karwendel-Gebirge wieder einfiel, begriff ich, dass ich sofort in dieses Geschäft einsteigen musste, wenn ich den Anschluss an die US-Jungs nicht verlieren wollte.“
Zurück in Magstadt, machte sich Renner umgehend an die Arbeit. Er konstruierte mit seinen damaligen Partnern Rudolf Messingschlager und Ekkehard Teichreber einen völlig neuen Rahmen und ließ sich in Japan das erste verkaufsfertige Modell bauen. Das neue Produkt irritierte: „Die Leute dachten, es handele sich um ein BMX-Rad für Erwachsene, mit dem Fahrrad durch den Wald zu fahren, erschien damals völlig absurd.“ Während also das Mountainbike in den USA erste Erfolge feierte, blieb das Interesse der europäischen Händler erst einmal aus. Lediglich siebzig Stück seines immerhin 1.800 Mark teuren Fahrrads konnte Renner absetzen. Er hätte die Produktion womöglich einstellen müssen, wäre er nicht auf die famose Idee gekommen, die Markteinführung der dritten Modellgeneration mit einer spektakulären Himalaya-Expedition zu verbinden.
Im Jahr 1987 fuhr eine 16-köpfige Gruppe um Wolfgang Renner und Radsportler Andi Heckmair vom rund 3.000 Meter hoch gelegenen tibetischen Lhasa-Tal bis nach Kathmandu, der Hauptstadt Nepals. Der mehr als 1.000 Kilometer lange Weg führte elf Tage lang auf steinigen und staubigen Pisten über mehr als 5.000 Meter hohe Berge. Zur Verblüffung aller Beteiligten kamen die Räder mit den Strapazen viel besser zurecht als die Fahrer selbst: Außer sieben platten Reifen gab es keine Materialausfälle. Das robuste neue Modell wurde anschließend als „Centurion Explorer Lhasa-Kathmandu“ verkauft. Was zunächst als Ladenhüter zu enden drohte, schaffte nun also, nachdem die Expedition das Interesse vieler Fahrradhändler geweckt hatte, endlich den Durchbruch auf dem deutschen Markt. Ab 1988 erlebte das Mountainbike einen beispiellosen Boom, der die Geschäfte der gesamten Branche beflügelte. Allein im Jahr 2007 wurden in Deutschland 4,6 Millionen Fahrräder verkauft, darunter über eine halbe Million Mountainbikes. Und der Marktanteil steigt weiter.
Die Begeisterung überträgt sich auf die Kunden
Heute gehört Wolfgang Renners Radschmiede zu den erfolgreichsten der Branche, die Umsätze legen jährlich bis zu 30 Prozent zu. Die im Jahr 2000 beschlossene Entwicklungszusammenarbeit von Renners Centurion GmbH und Merida, dem zweitgrößten Fahrradhersteller Taiwans, brachte zusätzlichen Auftrieb. Für das End-Engineering und die Produktion von Rädern sind die Partner aus Taiwan zuständig, 60 Mitarbeiter in Magstadt sind für die technische Entwicklung der Marken Centurion und Merida verantwortlich. Der Teileversand von Exklusiv-Marken wie Eddy Merckx und Burley sowie der Vertrieb werden ebenfalls von Magstadt aus gesteuert. Einen weiteren Montagebetrieb gibt es im thüringischen Hildburghausen, der die Montage von individuell hochwertigen Rädern ab 1.200 Euro durchführt.
Qualität ist die Voraussetzung, um auf dem inzwischen so hart umkämpften Markt bestehen zu können „Kompromisse bei der Qualität kann sich heute keiner mehr leisten,“ sagt Wolfgang Renner. „Wir sind begeistert vom Produkt Fahrrad, und diese Begeisterung überträgt sich über den Händler auf die Kunden.“
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